Handy am Steuer 2017 – Die neue Vorschrift im IT-Zeitalter
Die Regelungen zum „Handy am Steuer“ wurden komplett überarbeitet, endlich auf die Höhe der Zeit gebracht und traten am 19.10.2017 in Kraft. Ob damit künftig alle Fallvarianten von dem Nutzungsverbot abgedeckt sind, wird sich zeigen.
Die Änderung macht diese Vorschrift jedoch deutlich komplexer und umfangreicher, da der Gesetzgeber versucht hat, möglichst alle Gerätearten und Nutzungsmöglichkeiten abzudecken. Der Beitrag ist folglich entsprechend lang geworden. Nehmt euch also eine ruhige Minute.
Beachte: Wie empfehlen zum besseren Verständnis, den Beitrag zusammen mit dem neuen Gesetzestext abzuarbeiten. Zur besseren Übersicht haben wir den Absatz 1a farblich unterschiedlich gestaltet.
Inhalt
1. Zusammenfassung
2. Absatz 1a – Kern der neuen Vorschrift
2.1 Eingrenzung der Geräte
2.2 Erlaubte Verhaltensweisen
2.3 Sonstige Geräte
2.4 Verweis automatisiertes Fahren & Radarwarngeräte
3. Absatz 1b – Ausnahmen von der Vorschrift
3.1 Motorzustand und Bus/ Straßenbahn
3.2 Rückfahrkamera und sonstige Einparkhilfen
4. Bußgeld und Punkte
1. Zusammenfassung
Mit den Worten des Gesetzgebers…
Bislang ist das Annehmen eines Telefongesprächs durch Drücken einer Taste oder das Wischen über den Bildschirm eines Smartphones zu diesem Zweck erlaubt, soweit das Mobiltelefon nicht in die Hand genommen wird. Dabei soll es auch bleiben.
[…]
Es bleibt im Wesentlichen dabei, dass die Hände des Fahrzeugführers während der Fahrt grundsätzlich zur Bewältigung der Fahraufgaben (Lenken, Schalten, Blinker betätigen etc.) zur Verfügung stehen sollen. Hinzu kommt, dass künftig auch der Blick des Fahrzeugführers im Wesentlichen auf das Verkehrsgeschehen konzentriert sein soll. Eine Blickzuwendung zum Gerät soll nur noch für eine kurze Dauer zulässig sein.
[…]
Der neue Absatz 1 enthält statt dem bisherigen Verbot nunmehr ein Gebot, unter welchen Voraussetzungen eine Gerätenutzung zulässig ist. Der neu eingefügte Absatz 1b nennt Ausnahmen von diesen Anforderungen für bestimmte Fälle.Gesetzesbegründung (Grunddrucksache 556/17)
Es wurde an mehreren Stellen nachgebessert. Die Gerätedefinitionen wurden deutlich ausgeweitet, offen formuliert und erfassen nun (hoffentlich) alle infrage kommenden Geräte, die am Steuer zur Ablenkung führen können. Die erlaubte „Benutzung“ wurde neugefasst und konkretisiert.
Das Bußgeld wurde nochmals erhöht (100 Euro) und eine Qualifizierung für Gefährdung (150 Euro) und Schädigung (200 Euro) eingeführt. Hinzu kommt nach dieser Staffelung weiterhin ein bzw. zwei Punkte und ab der Gefährdung zusätzlich ein Monat Fahrverbot.
Alter Gesetzestext
Neuer Gesetzestext
Betrachten wir nun den Gesetzestext in einzelnen Abschnitten, die zur besseren Übersicht farblich gestaltet sind. Der neue Gesetzestext verbietet die Benutzung von bestimmten Geräten natürlich nicht pauschal, da sonst alle im Fahrzeug verbauten Geräte (z.B. das Radio) davon betroffen wären.
Vielmehr macht der Gesetzgeber Vorgaben, für welche Geräte die Regelungen gelten (Ziffer 2.1) sowie wann und in welchem Umfang die Benutzung erlaubt (Ziffer 2.2) ist. Hinzu kommen sonstige Geräte (Ziffer 2.3) und Verweise auf andere Vorschriften (Ziffer 2.4).
2. Absatz 1a – Kern der neuen Vorschrift
2.1 Eingrenzung der Geräte
Absatz 1a, Satz 1, erster Halbsatz nennt zunächst elektronische Geräte, der Kommunikation, Information oder Organisation und umfasst damit alle denkbaren Geräte. Der Satz 2 präzisiert diese allgemeine Formulierung und nennt zusätzlich ausdrücklich Unterhaltungselektronik und Geräte zur Ortsbestimmung (Navis), gefolgt von einigen konkreten Beispielen.
Der Gesetzgeber stellt in der Gesetzesbegründung selbst klar, dass der alte Text „mit seinem ausschließlichen hand-held-Verbot für Auto- und Mobiltelefone nicht mehr zeitgemäß“ sei und in der neuen Fassung daher bewusst eine „technikoffene Formulierung“ gewählt wird, um neu entwickelte Geräte, die aktuell noch gar nicht auf dem Markt sind, ebenfalls zu erfassen.
In der Gesetzesbegründung werden weitere Geräte aufgezählt (nicht abschließend):
Praxishinweis: Man kann davon ausgehen, dass zunächst alle oben genannten Geräte und vor allem alle ähnlichen Geräte unter diese Vorschrift fallen. Im Zweifel kann also eine Anzeige gefertigt werden. Die zukünftige, daraus resultierende Rechtsprechung wird zeigen, wieviel Spielraum beim Gerätetyp noch bleibt.
2.2 Erlaubte Verhaltensweisen
1. hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten wird und
2. entweder
a) nur eine Sprachsteuerung und Vorlesefunktion genutzt wird oder
b) zur Bedienung und Nutzung des Gerätes nur eine kurze, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen angepasste Blickzuwendung zum Gerät bei gleichzeitig entsprechender Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen erfolgt oder erforderlich ist.Absatz 1a, Satz 1, zweiter Halbsatz
Wir gehen davon aus, dass sich an der Benutzung zukünftig wieder eine Vielzahl an Urteilen festmachen wird. Auch in dieser Fassung wird es wieder Spielraum geben, sodass die Feststellungen der Polizei in Frage gestellt werden.
Das Gerät darf benutzt werden, wenn beide Bedingungen aus Nr. 1 und Nr. 2 erfüllt sind. Ist eine der Bedingungen nicht erfüllt, so liegt ein Verstoß vor.
Praxishinweis: Schon jetzt ist absehbar, dass die Dokumentation der Verstöße und einzelnen Tatbestandsmerkmale in der Anzeige immer wichtiger wird!
Nr. 1 – nicht aufnehmen und nicht halten
Nach Nr. 1 darf das Gerät weiterhin nicht aufgenommen und nicht gehalten werden. Hier bleibt alles beim Alten. Dies dürfte der „einfach“ beweisbare Verstoß werden.
Erlaubte Beispiele:
- Gerät ist in einer Halterung am Armaturenbrett angebracht,
- Gerät ist mittels Bluetooth mit dem Fahrzeugmikrofon und/oder -display verbunden.
Nr. 2 – Art der Nutzung
a) Sprachsteuerung und Vorlesefunktion (ohne Wegschauen/ ohne Berührung)
Eine Nutzung mit Sprach- und Vorlesefunktion setzt voraus, dass hierzu kein Blick auf das Display notwendig ist, da b) genau diesen Blickwechsel regelt. Die Nutzung der Gerätefunktionen basiert ausschließlich auf Sprachbefehlen.
Erlaubte Beispiele:
- Nutzung eines Sprachassistenten zur Steuerung der Navigationsroute und Ansage der Routenführung,
- zum Anruf eines Kontaktes oder zum Diktieren und Versand einer Textnachricht.
b) Kurzer Blickwechsel (mit Wegschauen/ mit Berührung)
Die Bedienung und Nutzung setzt unweigerlich das Drücken von Knöpfen, Berühren des Displays o.ä. voraus, während bei Variante a) nur die Stimme genutzt wird.
Erlaubte Beispiele:
- Anrufannahme durch Berühren des Touchscreens oder
- Wechseln eines Musiktitels durch Berühren eines Knopfes.
Kurze Blickzuwendung zum Gerät/ -abwendung vom Verkehr
Die Blickzu- bzw. Blickabwendung sollte selbsterklärend sein: musste der Blick zur Bedienung abgewendet werden?
Knackpunkt wird die Beurteilung der Zeitdauer „kurz“ sein. Diesbezüglich wird es in Zukunft wohl ebenfalls zahlreiche Urteile geben, die sich mit der Beurteilung dieser Dauer auseinandersetzen.
Der Gesetzgeber liefert uns jedoch zumindest einen Hinweis zur Einschätzung bzw. erleichtert die Vergleichbarkeit. Die „Kürze“ soll orientiert am Blick in den Rückspiegel oder dem Schulterblick beim Abbiegen oder Überholen gemessen werden. Tätigkeiten, die einen ähnlich kurzen Blickwechsel erfordern, sollen weiterhin und bewusst erlaubt bleiben.
Weiter heißt es, dass durch diese Formulierung „das Lesen von Kurznachrichten oder die Nutzung anderer Multimediaangebote (z.B. Internet, Fernsehen) verboten [bleiben], da diese Tätigkeiten grundsätzlich eine längere Blickabwendung erfordern.“
Auf die feste Definition von z.B. einer Sekunde, wurde durch den Gesetzgeber bewusst verzichtet, da dies in der Praxis zumeist nicht beweissicher nachgewiesen werden könnte.
Praxishinweis: Bis die Rechtsprechung Schwerpunkte gebildet hat, empfiehlt es sich in der Anzeige auf den Vergleich mit den Tätigkeiten Rückspiegel/ Schulterblick (Gesetzesbegründung) einzugehen und darzulegen, warum die Ablenkung durch diese Tätigkeit länger gedauert hat.
Den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen angepasst
Der Gesetzgeber verlangt zusätzlich, dass der Fahrzeugführer nur dann den Blick kurz vom Verkehrsgeschehen abwenden darf, wenn die oben genannten Verhältnisse beachtet werden.
Beispiele: So kann es sein,
- dass bei einer kurvenreichen Strecke oder
- bei starkem Regen oder
- bei hohem Verkehrsaufkommen im Stadtgebiet
der Blick nicht abgewendet werden soll bzw. kann.
Zu den Straßenverhältnissen gehören die Unebenheiten der Fahrbahn, ein starkes Gefälle, eine schmale Fahrbahn, eine verschmutzte Fahrbahn, der Baustellenbereich, eine kurvenreiche Strecke.
Zu den Verkehrsverhältnissen zählen die Verkehrsdichte, die Verkehrsvielfalt, wie Schwerlastverkehr, schnell fließender Verkehr, häufig vorhandene Fußgängerüberwege, der Stadtverkehr.
Bei den Sichtverhältnissen ist ein auf einem Feld brennendes Feuer und dadurch entstehende Qualmentwicklung, der Einbruch der Dämmerung oder die blendende Sonne zu verstehen. Zu den Wetterverhältnisse zählt die schneebedeckte Fahrbahn, Glatteis, starker Regen oder starker Seitenwind.
Praxishinweis: In letzter Konsequenz wird der Richter immer Kriterien brauchen, um eine Verurteilung auszusprechen. Man sollte deshalb die Begleitumstände in der Anzeige mit aufnehmen und auf alle Tatbestandsmerkmale eingehen. Erst mit der Zeit wird sich zeigen, in welchem Umfang die Dokumentation ausreichend ist und auf welche Merkmale Richter und Rechtsanwälte besonders eingehen bzw. Wert legen.
2.3 Sonstige Geräte (Sätze 3 und 4)
Videobrille
Der Gesetzgeber will mit den Videobrillen in Satz 3 bewusst Geräte erfassen, die noch nicht in Betriebsreife auf dem Markt sind, aber vermutlich in den nächsten Jahren eintreffen werden und verbietet die Nutzung generell.
Head-up Display
Mit dem Gerät aus Satz 4 sind die sogenannten „Head-up-Displays“ gemeint, die in immer mehr Neuwagen verbaut sind. Dies sind die kleinen „Glasscheiben“, die sich direkt im Sichtfeld des Fahrers oberhalb des Lenkrades befinden und Zusatzinformationen anzeigen können. Gerade der Begriff „fahrtbegleitende Informationen“ ist etwas schwammig. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich folgende Hilfestellung:
Ausdrücklich sei jedoch nicht die „Anzeige von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen“, die „keine verkehrszeichen- oder fahrtbezogene Information“ darstellt, gemeint. Daher ist diese Formulierung auch keine Ausnahme für Radarwarngeräte in § 23 Absatz 1c (alt: Absatz 1b) StVO.
2.4 Verweis automatisiertes Fahren & Radarwarngeräte
Die Nennung des § 1b StVG öffnet die neue Vorschrift und stellt den Bezug zur erlaubten Benutzung im Rahmen der Nutzung von hoch- und vollautomatisierten Fahrfunktionen her. Die Nennung des Absatzes 1c stellt klar, dass Radarwarner weiterhin verboten sind.
3. Absatz 1b – Ausnahmen von der Vorschrift
3.1 Motorzustand und Bus/ Straßenbahn
1. ein stehendes Fahrzeug, im Falle eines Kraftfahrzeuges vorbehaltlich der Nummer 3 nur, wenn der Motor vollständig ausgeschaltet ist,
2. den bestimmungsgemäßen Betrieb einer atemalkoholgesteuerten Wegfahrsperre, soweit ein für den Betrieb bestimmtes Handteil aufgenommen und gehalten werden muss,
3. stehende Straßenbahnen oder Linienbusse an Haltestellen (Zeichen 224).
2Das fahrzeugseitige automatische Abschalten des Motors im Verbrennungsbetrieb oder das Ruhen des elektrischen Antriebes ist kein Ausschalten des Motors in diesem Sinne. […]Absatz 1b, Satz 1 und 2
Zu Absatz 1b Nr. 1:
Das Urteil des OLG Hamm aus 2014 wird hiermit „eingefangen“, das die Handy-Nutzung bei einem durch Start-/Stop-Automatik ausgeschaltetem Motor erlaubt. Auch die Gesetzesbegründung stellt ausdrücklich klar, dass dies vom Gesetzgeber nicht gewünscht ist.
Zu Absatz 1b Nr. 3:
Für den Verkauf von Fahrscheinen oder das Erteilen von Auskünften ist häufig die Benutzung eines Bildschirms erforderlich. Dies nur bei abgeschaltetem Motor zu erlauben, würde zu unnötigen Verzögerungen im Betriebsablauf führen.
3.2 Rückfahrkamera und sonstige Einparkhilfen
1. die Benutzung eines Bildschirms oder einer Sichtfeldprojektion zur Bewältigung der Fahraufgabe des Rückwärtsfahrens oder Einparkens, soweit das Fahrzeug nur mit Schrittgeschwindigkeit bewegt wird, oder
2. die Benutzung elektronischer Geräte, die vorgeschriebene Spiegel ersetzen oder ergänzen.Absatz 1b, Satz 3
Zu Absatz 1b Satz 3:
Darüber hinaus wir klargestellt, dass die Vorgabe des nur „kurzen Blickwechsels“ aus Absatz 1a z.B. nicht für Rückfahrkameras gilt.
4. Bußgeld und Punkte
Elektronisches Gerät rechtswidrig benutzt | bisher | neu |
---|---|---|
beim Führen eines Fahrzeugs | 60 Euro, 1 Punkt | 100 Euro, 1 Punkt |
– mit Gefährdung | ohne | 150 Euro, 2 Punkte, 1 Monat Fahrverbot |
– mit Sachbeschädigung | ohne | 200 Euro, 2 Punkte, 1 Monat Fahrverbot |
beim Radfahren | 25 Euro | 55 Euro |
Liebe Kollegen, wir haben an einigen Stellen bewusst auf eine weitere Ausführung verzichtet, da die neue Vorschrift ohnehin komplex genug ist und der Beitrag damit noch umfangreicher geworden wäre.
Haben wir was vergessen oder sind noch Fragen offen? Sollte dies der Fall sein, schreibt uns einfach über das Kontaktformular. Dann bauen wir das Thema in einen kommenden Beitrag ein.