Todsünden – § 315c StGB – Vorfahrt
In den nächsten Beiträgen beschäftigen wir uns mit den Tatvarianten des § 315c StGB (Todsünden). Zunächst werden die jeweils gleichbleibenden Tatbestandsmerkmale abgehandelt, bevor wir uns dann mit den wichtigsten Begehungsweisen (Buchstaben a-d) befassen.
1. Gleichbleibender Tatbestand
Der Gesetzgeber hat im § 315 c Abs. 1 Nr. 2 StGB besonders schwere Verkehrsverstöße unter Strafe gestellt, jedoch nur dann, wenn der Täter grob verkehrswidrig und rücksichtslos gehandelt hat und eine Gefahrensituation für andere VT gegeben war.
1.1 Grobe Verkehrswidrigkeit und Rücksichtslosigkeit
Es handelt sich um zwei selbständige Tatbestandsmerkmale. Während die grobe Verkehrswidrigkeit nach objektiven Kriterien zu beurteilen ist, enthält die Rücksichtslosigkeit ein subjektives Element. Beide Merkmale müssen verwirklicht worden sein.
Grob verkehrswidrig,
ist Definition ein besonders gefährliches Abweichen vom pflichtgemäßen Verhalten, durch welches die Verkehrssicherheit besonders schwer beeinträchtigt wird./
Rücksichtslos
handelt, Definition wer sich im Straßenverkehr aus eigensüchtigen Gründen über seine Pflichten hinwegsetzt oder aus Gleichgültigkeit von vornherein keine Bedenken gegen sein Fahrverhalten aufkommen lässt und unbekümmert drauf losfährt./
Eigensüchtigkeit kann bejaht werden, wenn der Beschuldigte sich gegenüber einem anderen Verkehrsteilnehmer einen Vorteil verschaffen will.
Ein Indiz dafür ist z.B., wenn der Fahrer es eilig hat oder aus Gleichgültigkeit, Leichtsinn oder mangelndem Verantwortungsgefühl jede Rücksichtnahme auf andere VT außer Acht lässt.
Gleichgültigkeit. Zur Abgrenzung eines Augenblickversagens zur Gleichgültigkeit seiner Fahrweise muss festgestellt werden, wie viel Zeit dem Fahrer blieb, sich über sein Fahrverhalten Gedanken zu machen.
Unter einem „Augenblicksversagen“ kann nur ein sehr kurzfristiges Fehlverhalten bzw. außer Acht lassen der unter den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt verstanden werden.
Ausgangspunkt ist dabei die Verkehrslage zur Tatzeit und das Fahrverhalten des Täters in dieser Verkehrslage.
Auch Fahrverstöße während der Fahrt, die vor der eigentlichen Gefährdung begangen wurden, können als Beweisanzeichen für die Gleichgültigkeit herangezogen werden.
Ein verkehrsgerecht fahrender Fahrer orientiert sich an
- Verkehrszeichen,
- dem Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer,
- Sicht- und Fahrbahnverhältnissen und
- Fahrgeschwindigkeit.
Die Missachtung eines Verkehrszeichens kann aus momentaner Unachtsamkeit (Augenblickversagen) heraus geschehen.
Missachtung mehrerer Denkanstöße hintereinander kann auf eine gleichgültige Einstellung und Nachlässigkeit hinweisen
Einzelbeispiel Vorfahrt: vier VZ mit Hinweis auf Stoppstelle: VZ 100 km/h, VZ 70 km/h, VZ 206 mit Zusatzzeichen 100 m und VZ 206.
1.2 Konkrete Gefährdung
Eine konkrete Gefahr droht, Definition wenn nicht mehr beeinflussbare Kräfte so unmittelbar einzuwirken drohen, dass der Schadenseintritt wahrscheinlicher ist als dessen Ausbleiben und mehr oder weniger nur noch vom Zufall abhängt („Beinaheunfall“)./
Beachte: Das vom Täter geführte Fzg kann, da es Tatmittel ist, nicht zugleich Gefährdungsobjekt sein. Personen, die mitfahren oder beförderte Ladung kann jedoch gefährdet werden.
Der fremde Sachschaden muss bedeutend sein. Nach heutiger Rechtsprechung liegt der bedeutende Sachwert bei 750 Euro.
Hier sei nochmals auf den Aufbau des Tatbestands hingewiesen. Ein fremder Sachschaden von 750 Euro muss nicht tatsächlich eingetreten sein. Es genügt auch dessen bloße Gefährdung. So wird die Gefährdung in dieser Höhe z.B. bei einem „Beinaheunfall“ mit dem Gegenverkehr beim Abbiegen zu bejahen sein.
2. Tatvarianten
a) die Vorfahrt nicht beachtet:
Hier sind nicht nur die speziellen Bestimmungen der §§ 8 und 18 Abs. 3 StVO gemeint, sondern auch alle verwandten, vorfahrt ähnlichen Verkehrslagen.
Dies ist immer dann gegeben, Definition wenn sich die Fahrlinien verschiedener Fahrzeuge unter Beibehaltung der Fahrweise bedrohlich nahe kommen und das Gesetz einem Fahrzeugführer den Vorrang einräumt und dem anderen die Wartepflicht auferlegt./ In diesen Fällen ist § 315 c StGB anwendbar.
Wer sich als Wartepflichtiger in den nachfolgend genannten Situationen falsch verhält, kann den Tatbestand erfüllen (nicht abschließend):
- § 6 StVO, Vorbeifahren
- § 8, § 18 Abs. 3 StVO Vorfahrt und Vorfahrt auf BAB
- § 9 Abs. 3 und Abs. 4 StVO, Abbiegen
- § 10 StVO, Einfahren und Anfahren
- § 19 StVO, Bahnübergänge
- § 20 Abs. 5 StVO, KOM im Linienverkehr ist das Abfahren von Haltestellen zu ermöglichen
- § 36, § 37 StVO, Zeichen und Weisungen von Polizeibeamten, Lichtzeichen
- § 35, § 38 StVO, Sonder- und Wegerechte
- § 41 Zeichen 208 StVO, Gegenverkehr durchfahren lassen
- § 41 Zeichen 205, 206 Vorfahrt nicht beachtet
Keine Vorfahrtsverletzung i.S.d. § 315 c StGB bei einem Fahrstreifenwechsel nach § 7 Abs. 5 StVO oder zwischen Fzg-Führern und Fußgängern, da die Vorfahrtregel nur zwischen Fzg-Führern angewendet werden kann.